Zunächst einmal war "ausschlafen" angesagt, soll heißen statt der üblichen zehn Stunden, gönnten
wir uns deren zwölf. Die Anstrengung von gestern merkte man allerdings schon. Die intensive
Sonneneinstrahlung forderte inzwischen ihren Tribut und wir hatten mehr als eine schmerzhafte
Verbrennung im Gesicht, an Lippen oder Händen. Schattige Plätzchen waren somit sehr begehrt.
Wetter war wieder super, sehr warm und ausnahmsweise mal kein Wind. Ein optimaler Gipfeltag also,
aber soweit sind wir noch lange nicht. Um dem ein Stückchen näher zu kommen, begab ich mich mit
Betty auf eine Akklimatisierungstour zu dem von Cerro Cuerno ausgehenden Gletscher. An der
Gletscherzunge bilden sich aufgrund der besonderen klimatischen Gegebenheiten hier, eindrucksvolle
Eiszacken, sog. Penitentes. Auch hat man von hier eine gute Sicht auf die riesigen Eisbrüche in
der Flanke des Cerro Cuerno.
Unsere Frühstücks-Taktik für das zweite Hochlager steht nun auch fest, am Abend vorher werden
Wasserbeutel gefüllt, die man mit in den Schlafsack nimmt. So spart man sich die Kocherei am
Morgen.
Im oberen Teil ab Nido de Condores verläuft die Route größtenteils auf der anderen Seite des
NW-Grates und ist somit nicht einsehbar.
07.01.02 Aufstieg ins 1. Hochlager mit Übernachtung
Dieses Mal benötigten wir trotz langsamster Gangart nur ca. 6h bis ins erste Hochlager. Wetter war
wieder schön und ziemlich windstill. Im Nido de Condores erwischte es dann Betty mit einer leichten
Höhenkrankheit. Mit Ibuprofen gegen die Kopfschmerzen und Diamox als Placebo bekamen wir die Sache
aber schnell in den Griff. Mir ging es trotz der Höhe ziemlich gut.
Man trifft erstaunlich wenig Leute, die den Gipfel geschafft haben. Zu kalt, zu windig und überhaupt.
Ein Päarchen berichtete von -15°C, im Wind -25°C. Über Nacht setzte dann auch ein Sturm ein, der
einem nicht zum Schlaf kommen lies. Nächstes Mal habe ich Ohrstöpsel mit dabei.
08.01.02 Abstieg ins Basislager
Irgendwann in der Nacht bastelte ich mir aus Toilettenpapier Ohrstöpsel. Das ging dann auch eine
Weile ganz gut und ich konnte endlich ein bißchen schlafen. Irgendwann um acht ging die Sonne auf.
Wieder mal blauer Himmel, dank des Windes herrschten jedoch empfindlich kalte Temperaturen. Mit
Betty blieb ich noch eine Weile im Nido und genoss die Aussicht auf den Aconcagua, dessen Gipfel von
hier so nah aussieht. Man kann gar nicht glauben, dass man noch zwei Tagesetappen davon entfernt ist.
Sehr beeindruckend ist auch die völlig unberührte Gletscherwelt nördlich des Aconcagua. In der Ferne
sind einige Andenriesen zu erkennen, z.B. der Mercedario und irgendwo westlich unter all dem Dunst
muß der Pazifik sein! Danach folgte der Abstieg ins Basislager. Dort war Materialwartung angesagt.
Meine nagelneuen sündhaft teuren Berghaus "Yeti" Gamaschen waren bereits nach zwei Mal Aufstieg
ins Nido an den Seiten durchgescheuert.
09.01.02 Ruhetag
Gestern hat uns der Hias eröffnet, dass für ihn das Thema "Besteigung des Aconcagua" erledigt ist
und er lieber ins Tal absteigt. D.h. ab sofort machen wir zu dritt weiter, was dank unseres
3-Mann-Basislager-Zelts auch kein Problem ist.
Heute also Ruhetag. Wir sind fit und akklimatisiert, das Wetter ist super. Leider soll es laut
Parkranger und unserem Muli-Chef die nächsten zwei Tage schlechtes Wetter geben. Kaum zu glauben,
so schön wie es heute ist. Wir werden aber trotzdem morgen aufsteigen. Mein Buch habe ich heute
auch ausgelesen, allzuviel Ruhetage sollten also nicht mehr kommen.
Des Abends durfte Woife, unser Brennstoffmeister, noch mal eine Krise über sich ergehen lassen, da
in dem Benzin, was wir von Rudy Parra bekommen hatten, Wasser dabei war. Dieses hatte sich nach
unten im Kanister abgesetzt, wodurch das letzte Drittel unbrauchbar war. Dauerte aber eine Weile,
bis es uns dämmerte, woher jetzt plötzlich der Eisklumpen in der Benzinflasche her kommt. Wut
entbrannt stürzte Woife sich zur "örtlichen Vertretung" der Rudy-Parra-Organisation im Basislager.
Die haben zwar kein Englisch verstanden, uns aber schließlich doch neues Benzin gegeben.
10.01.02 Aufstieg ins Nido de Condores (5380m)
Heute also der dritte Aufstieg ins Nido. Inzwischen kennen wir die Strecke auswendig und steuern
zielstrebig unsere Pausenplätze an. Insgesamt war es heute ziemlich warm und sehr windstill. So
gestalte sich der Abend im Hochlager als sehr angenehm. Endlich konnten wir den Aufenthalt hier
richtig geniesen. Die Aussicht war unbeschreiblich und definitiv eines der Highlights dieser Reise!
Zudem fand ich noch ein Hufeisen, welches sofort ans Zelt gehängt wurde. Wenn das kein Glück
bringt!
11.01.02 Aufstieg zu Camp Berlin (5780m)
Endlich wieder Neuland! Es stand der Aufstieg zum zweiten Hochlager auf dem Programm. Vom Nido
läuft man in 2-3h hoch zum Camp Berlin. Unterwegs fand ich tatsächlich auch noch auf dieser Höhe
ein totes Muli. Keine Ahnung, wie das hier hoch kommt. Die Aussicht auf die umliegende Gletscherwelt
wird immer, im wahrsten Sinn des Wortes, "atemberaubender"! Camp Berlin besteht eigentlich aus
drei Hütten mit unterschiedlichen Verfallsdatum. Die neueste gab dem Camp seinen aktuellen Namen.
Sie wurde von Mitgliedern einer Pfälzer DAV-Sektion erbaut, die hier einen Freund verloren hatten.
Die nähere Umgebung um die Hütte ist dermaßen versifft, unglaublich. Absolut widerlich, unter jeden
Stein, den man umdreht findet sich eine Hinterlassenschaft eines Vorgängers. Anstatt der Hütte
hätten die Kollegen aus der Pfalz mal lieber ein Plumpsklo anlegen sollen.
Erstaunlich, wie viele Amis hier oben ihr Lager aufgeschlagen haben. Wie wir aus den lautstarken
Unterhaltungen mitbekamen, weilen die hier schon mehrere Tage und hoffen sich so auf den Gipfel
vorbereiten zu können. Auf 5800m ein hoffnungsloses Unterfangen, da der Mensch bekanntlich nur bis
ca. 5300m in der Lage ist, sich zu regenieren. Darüber baut der Körper unweigerlich ab.
Es war noch sehr windstill den Abend und alles in allem, abgesehen von den Tretminen, gut auszuhalten
hier oben.
12.01.02 Gipfeltag (6962m)
Während der Nacht begann es ziemlich heftig zu stürmen. An Schlaf war fast gar nicht zu denken. Anfänglich
war die Planung, bereits um ein Uhr loszulegen. Mittlerweile hatten wir uns auf vier Uhr
festgelegt, um nicht allzu lange im Dunkeln laufen zu müssen. Jetzt bin ich der Meinung mit
Sonnenaufgang wäre am besten gewesen, um der ganz großen Kälte in den Morgenstunden zu entgehen.
Aufgrund des Sturms dauerte es eine Weile, bis wir uns entschlossen, doch loszugehen. Es blieb
den ganzen Tag stürmisch und es war megaanstrengend! Als endlich der Morgen dämmerte, waren wir
auf 6025m angekommen. Ein neuer Höhenrekord für mich! Das Thermometer zeigte -14°C an, im Wind
dürften es so -25°C gewesen sein.
Vorbei ging es an der Indepencia Hütte (total verfallen) zu einer Querung über das Gran Acero.
Der Wind war hier wirklich schlimm. Die Nase gefror in Sekundenschnelle, wenn man in die falsche
Richtung guckte. Die Traverse selber sieht einfach aus, ist aber furchtbar anstrengend und
zeitaufwendig. Am Ende steht man dann vor der Canaletta, es war 10.30 Uhr. Endlich
erreichten uns auch die ersten warmen Sonnenstrahlen. Betty allerdings reichte es hier auf so
ca. 6600m. Die Vorstellung von dem Wind, der über dem Grat bläst und die Geschichten von Leuten,
die es von dort oben runtergeweht hat, veranlassten sie, das Handtuch zu werfen. Ich war auch
am überlegen, da meine Füsse ziemlich eingefroren waren. Nach einer halben Stunde "Fußgymnastik" tauten
sie schließlich doch noch auf und ich ging weiter.
Die 3-Lagen-Handschuhe von Ortovox hielten auch nicht, was sie versprachen, ständig hatte ich
ziemlich kalte Finger. An den Füssen hatte ich Unterziehsocken, dicke Schurwollsocken,
Schalenschuhe und Expeditionsgamaschen, das war definitiv zu wenig!
Die Canaleta gab mir dann konditionell den Rest. 350 Höhenmeter, 30-40° steil, zum Glück aber
total verschneit, so dass wir mit Steigeisen gehen konnten. Das ist auf alle Fälle besser, als über
loses Geröll. 3000m tiefer würde so ein Gelände richtig Spaß machen, so war es einfach nur ein
Schinder ohne gleichen. 10m vorwärts, 5min Pause. Endlich erreichte ich den Gipfelgrat. Von hier
sind es noch 50Hm bis zum Gipfelplateau. Nochmal den letzten Rest an Willen aus mir rausgeholt,
ich bin eigentlich nur noch am hyperventilieren. Allmählich ergeben sich enorme Tiefblicke in
die Südwand. Zu nah durfte man sich allerdings nicht an den Abbruch wagen, zu stark fegte der
Wind über den Grat. Die letzten 10 Höhenmeter, einfache Kraxelei, bevor ich schließlich auf das
Gipfelkreuz zu wanke. Das wars, kein Meter mehr höher, nur noch runter, so schnell wie möglich!
In dem Moment bedeutete es mir überhaupt nix, auf dem Dach Südamerikas zu stehen. Also schnell
vier Bilder geschossen und wieder runter.
Am Grat traf ich Woife, der noch eine halbe Stunde bis zum Gipfel hatte. Ich konnte nicht mehr
warten, mich trieb es nur noch runter. Der Rückweg zum Camp Berlin war schlimm. So bald ich mich
hinsetzte, schlief ich ein. Ein paar Windboen bliesen mich förmlich vom Weg. Endlich das Zelt.
Betty lag schon drin. Den Rest des Nachmittags verbrachte ich in einem scheintoten Zustand.
Der Sturm hielt auch die folgende Nacht an. Inzwischen erreichte er doch Orkanstärke, also wieder
nix mit schlafen. Ohrenstöpsel! Wie konnte ich die nur daheim lassen ...
13.01.02 Abstieg ins Basislager
Saukalt war es in der Früh. Es galt erst mal die Sturmschäden am Zelt zu begutachten, eine
verbogene Zeltstange, eine gerissene Sturmleine und mehrere aufgescheuerte Stellen am Überzelt.
So weit so gut, andere hatten da mehr Pech, im Nido fanden wir ein völlig zerstörtes Salewa-Zelt.
Abtransport war angesagt. Natürlich ist viel zu viel übrig geblieben an Lebensmitteln. Im
Basecamp mußten wir feststellen, dass so völlig verplante Typen aus Südafrika unseren Zeltplatz
geklaut hatten, der deutlich mit einer Plane markiert war. Diese lag ordentlich gefaltet
daneben. Abends dann ein "Festmahl", wobei die Menge zählte, nicht der Geschmack. Mit Rum
würdigten wir unseren Gipfelerfolg.
14.01.02 Abstieg bis Confluencia
Am Morgen gab's erstmal das große Packen. Aber die Seesäcke waren dann doch um einiges leichter
als vor zwei Wochen, da die meisten Lebensmittel aufgebraucht waren. Das Zeug brachten wir zum
Gehilfen von Rudy Parra im Basislager, um es am nächsten Tag mit den Mulis runter transportieren
zu können. Es ist höchste Zeit, dass wir unser Lager hier abbrechen. Der große Ansturm kommt, DAV
Summit Club, Hauser, usw. ...
Nachmittags zogen Wolken auf und es graupelte mal wieder. Auch mit dem Wetter hatten wir also einiges
an Glück. Der Weg zurück ins Confluencia Camp zog sich ewig in die Länge. Vom Gipfel war nix
mehr zu sehen. Alles in Wolken. Das Schönwetterloch ist wohl erst mal vorbei, aber das kann uns
ja egal sein ... ;-)
15.01.02 Südwand, Abstieg bis Puente del Inca
Heute also unser letzter Tag in der "Wildnis". Da wir noch etwas Zeit hatten, sind wir noch
ins untere Horcones Tal aufgestiegen, um die Südwand des Aconcagua aus der Nähe begutachten
zu können. Beeindruckend, wie schnell wir uns mittlerweile wieder auf der Höhe bewegen können.
Die 700 Höhenmeter von Confluencia bis ca. auf 4000 m bereiteten uns überhaupt keine Probleme.
Aus der Nähe wirkt die Südwand noch viel beeindruckender und unnahbarer, als sie es eh schon
ist. Der Trek Richtung Südwand lohnt auf alle Fälle! Nur gut, dass ich den Berg schon gemacht
habe ... ;-)
Danach aber der endgültige Abstieg zurück in die Zivilisation. Bei der Rangerstation funkten
wir mit Mario von Los Puquios, damit er uns zurück nach Puente fahren kann. Zu uns gesellte sich
ein Kanadier mit Lungenödem, die x-te Halbleiche, die ich den letzten zwei Wochen zu Gesicht
bekam.
Wir hatten erst mal genug von all dem Staub und Dreck, eine Dusche mußte her! Also ab ins Hotel.
Endlich wieder etwas Luxus, so dachten wir. Denkste, es gab erst mal Stromausfall und damit
einhergehend kein Wasser. Nach drei Stunden klappte es endlich und wir mußten alle feststellen,
dass wir doch nicht so eine braune Gesichtsfarbe bekommen hatten, wie zunächst angenommen.
Unsere Seesäcke sind wohlbehalten in Los Puquios angekommen. Für 2x Mulitransport, all die
anderen Fahrten und "Bathroom-Service" im Basislager mußten wir 500 Dollar berappen. Die
Leute von Rudy Parra sind aber recht nett und sehr zuverlässig!